ORF texts about Tonga.Online

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These texts (in german) are by Robert Bilek and appeared on ORF-online 

"Entwicklungshilfe aus dem Big-Blue-Van"
"Binäres Antilopenhorn-Blasen"
"Revolution oder Absturz ins Chaos?"


Entwicklungshilfe aus dem Big-Blue-Van

 Einst besiedelten die Tonga die Ufergebiete des Zambesi in Zimbabwe und Zambia. Sie nutzten die reichen Fischgründe und den fruchtbaren Schlamm des Flusses als Fischer und Bauern. Vor etwa 40 Jahren wurde der Kariba-Staudamm errichtet, ganz Zimbabwe profitiert seither von der dort gewonnenen Elektrizität. Die Tonga wurden damals gezwungen, in eine Halbwüste umzusiedeln, wo gerade noch Hirse und Mais gedeihen. Elektrischer Strom ist bis heute nicht in ihre Hütten eingezogen.

Image Gedränge vor den Computern

Siachilaba ist eine Art Versorgungsstation an der abgelegenen Straße nach Binga. Zwei Geschäfte, ein Fischmarkt, eine Bierhalle, zwei gemauerte Wohnhäuser und seit kurzem eine Telefonzelle. Hier strömen die Menschen aus den weit in der kargen Landschaft verstreuten Compounds zusammen und hier machte auch der Big-Blue-Van für ein paar Tage Station.

Der über die Weltbank finanzierte LKW bringt zehn Computer in die Dörfer im Busch. Zwei Instruktoren zeigen den wissensdurstigen Menschen, wie ein Mausklick funktioniert, wie man am PC schreibt und - wenn die Leitung funktioniert - was das World-Wide-Web so alles zu bieten hat.

"Sie haben zwar keine Kreditkarte, aber sie wissen jetzt, was sie damit alles übers Net kaufen könnten", sieht Chabulani Chirida seine Mission als Instruktor ironisch. Das Gedränge im Big-Blue-Van ist unvorstellbar. Nicht nur die Jungen, auch alte Frauen sitzen mit ihren für die Tonga typischen blubbernden Wasserpfeifen vor den Bildschirmen. Man glaubt ihnen, dass sie soeben ihre Zukunft in die Hand nehmen.

Image Kulturelle Entwicklungsarbeit

"Wir können die Revolution des Papiers überspringen und gleich das Zeitalter des Internet betreten", sagt der zimbabwische Minderheitenaktivist und Komponist Keith Goddard, der die Musik der Tonga international und besonders in Österreich bekannt gemacht hat. "Das Computer-Projekt wird Elektrizität an die Schulen und zusätzliche Telefonleitungen in die Region bringen."

Die österreichische Projektgruppe hat eine breite Basis: Künstler wie Sabine Bitter und Helmut Weber engagieren sich als Web-Designer für mulonga.net, das Linzer BRG Auhof unterstützt die technische Aufrüstung der Partnerschulen im Tonga-Gebiet und auch die österreichische Entwicklungszusammenarbeit agiert über die Organisation Horizont 3000 nicht nur in ihrem Hauptbereich, der Kleinbetriebsförderung, sondern auch auf kulturellem Gebiet. Denn: "Human beings are more than bodies with stomachs to feed." (Keith Goddard)

Selbstdarstellung via Internet

Die Internet-Center an den Schulen in Siachilaba und Binga werden nicht nur die Ausbildung von rund 1500 Schülern sprunghaft verbessern und den Menschen am Kariba-See Gelegenheit bieten, ihre Musik und ihre hoch entwickelten Flechtarbeiten zu vermarkten, das Internet wird den Tonga vielmehr eine Stimme geben und einer bisher fast vergessenen Minderheit die weltweite Selbstdarstellung ihrer Kultur über eine eigene Homepage ermöglichen. In der politischen Krise, die Zimbabwe derzeit erschüttert, könnte das überlebenswichtig werden.


Binäres Antilopenhorn-Blasen

Image  Der Kulturaustausch zwischen Österreich und den Tonga hat eine kurze, aber intensive Tradition. Die Achse verläuft von Linz nach Siachilaba. Seit den 90er Jahren besuchen österreichische Künstler die Tonga. Im August 1997 war eine Abordnung von 30 Musikern des Ngoma-Buntibe-Ensembles Simonga beim Festival der Regionen zu Gast. Sie konzertierten mit großen Trommeln und Antilopenhörnern , überquerten gemeinsam mit österreichischen Künstlern das Tote Gebirge, spielten in Linz, Freistadt und Wien und inspirierten mit ihrer Musik österreichische Komponisten wie Werner Puntigam, Peter Androsch oder Lukas Ligeti zu eigenen Stücken. Zwei CDs gibt es - "One Man - One Note" mit Tonga-Originalmusik und "Six Reflections" mit den Antworten der europäischen Komponisten.

Die Musik der Tonga ist wild. Über die Schiene folkloristischer World Music sind diese Klänge nicht vermarktbar. Deshalb wurden sie in Österreich von Beginn an in den Kontext der Avantgarde-Musik gestellt. 

Image Gewaltiger Energiestrom

Ursprünglich war Ngoma Buntibe Begräbnismusik, heute ist sie aus dem Ritual herausgelöst und wird auch jenseits traditioneller Zeremonien aufgeführt. Nur wer Simonga live erlebt hat, begreift die Wucht und die räumliche Komponente der Musik.

Auf staubigem Terrain bewegen sich Antilopenhornbläser in Richtung Trommlergruppe, umringen diese. Stampfend nähert sich ein Chor von Frauen, die hupenden Klänge erreichen einen flirrenden Höhepunkt bevor alle wieder auseinanderstreben, die umliegenden Hütten umkreisen, um auf ein unsichtbares Kommando wieder aufeinander zu zu strömen.

Die Tonga-Musik betreibt eine Extremform des in der afrikanischen Musik häufigen "interlocking". Die gespielten Muster klingen erst dann sinnvoll, wenn sie wie Zahnräder in andere Muster eingreifen, wenn kleine Einzelbeiträge im Zusammenklang einen gewaltigen Energiestrom ergeben. Nur ist bei den Tonga jedes Instrument, jeder Musiker auf einen einzigen Ton beschränkt, den er im richtigen Moment abschießen muss: one man - one note.

Image Zusammenhalt durch Musik

Man könnte die Musik der Tonga als System binärer Einzel-
entscheidungen, Ton oder Stille, 1 oder 0, auffassen, die auf der Matrix des Zusammenspiels in der Gruppe ein sinnvolles Klangereignis schaffen. In diesem Klang, dieser wild und chaotisch anmutenden Ordnung, versichert sich die Gemeinschaft ihres Zusammenhalts - auch angesichts des Todes.

Es scheint so, als wurzelte bei den Tonga das Verständnis digitaler Technologie direkt in der musikalischen Tradition. Was sollte sie aufhalten, mit neuen Maschinen, den Computern für Siachilaba und Binga, auch neues Terrain zu erobern.


Revolution oder Absturz ins Chaos?

"Europa hat Afrika noch nie verstanden." So kommentiert die zimbabwesche Sängerin Chiwoniso Maraire die westliche Berichterstattung über die Krise in ihrem Land. Seit Februar 2000 starben 30 Menschen, großteils Oppositionelle, darunter fünf weiße Großgrundbesitzer.

Die "War Veterans", die alten Kämpfer des erst 1980 beendeten Unabhängigkeitskrieges, besetzten Farmen gemeinsam mit jungen Rowdys aus dem mittlerweile 75 Prozent der Bevölkerung umfassenden Arbeitslosenheer, verprügelten Andersdenkende und sprengten die Druckerei einer aufmüpfigen Zeitung. All das mit Billigung der Regierung des 77-jährigen Staatspäsidenten Robert Mugabe, der seinerseits die Justiz von kritischen Richtern säuberte, die Medien durch ein neues Gesetz gefügig machte, die einzige Oppositionspartei, MDC (Movement for Democratic Change), knebelt und auch sonst alles tut, was verboten ist, um die Präsidentschaftswahlen 2002 noch einmal zu gewinnen.

 

Image  Bürgerkrieg droht

Wer durch die parkähnliche Landschaft des relativ hoch entwickelten Zimbabwe fährt, in Restaurants von aufmerksamen Kellnern bedient wird und mit gut gelaunten Menschen plaudert, merkt von all dem nichts, wären da nicht die Autoschlangen vor den Tankstellen. Mangels Devisen ist der Treibstoff knapp, da die Rohstoffpreise im Keller sind, geht es mit der Wirtschaft abwärts, immer mehr Betriebe schließen, die Felder werden aus Angst vor den War-Veterans nicht mehr bestellt und die vor zwei Jahren noch zahlreichen Safari-Touristen bleiben aus. Für die nahe Zukunft werden Hungersnöte erwartet, Pessimisten sprechen von Diktatur und drohendem Bürgerkrieg.

Angelpunkt der Misere ist die anstehende Landreform. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1980 wird sie nur schleppend umgesetzt. Immer noch herrschen in Zimbabwe koloniale Strukturen, einige wenige weiße Farmer besitzen den Großteil des fruchtbaren Bodens, bewirtschaften diesen aber nur zu einem Drittel.

Nachdem die Programme von Weltbank und Währungsfonds Zimbabwe in 20 Jahren keinen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht haben, wollen Robert Mugabe und seine nationalistische ZANU-PF (Zimbabwe African National Union-Patriotic Front) nun durch Rückbesinnung auf alte afrikanische Werte und eine notfalls auch gewaltsam durchgezogene Neuverteilung des Landes einen eigenständigen, von der Weltwirtschaft weitgehend abgekoppelten Weg gehen.

Image Opposition brüchig

Man trifft in Zimbabwe auch Weiße, die das für eine revolutionäre und notwendige Vorgangsweise halten, um die wirtschaftlichen und politischen Deformationen der Kolonialzeit und den über die Globalisierung eindringenden Neokolonialismus abstreifen. Die Gewalttaten hätten so gesehen eher symbolische Qualität, die Zahl der Toten sei - und das ist keinesfalls zynisch gemeint - für afrikanische Verhältnisse so klein wie möglich.

Die meisten der städtischen Intellektuellen in Harare tendieren zum MDC, schon weil sie sich mit der massiven Einschränkung der freien Meinungsäußerung nicht abfinden wollen. Mit den Interessen der Großfarmer, die den MDC zu einem großen Teil finanzieren, haben die Künstler und Intellektuellen wenig gemeinsam. Der MDC ist daher ein äußerst brüchiges Gebilde. Auch die Tonga tendieren mehrheitlich zur Opposition, die ZANU-PF-Regierung hat sie schließlich 20 Jahre lang vergessen. Doch selbst in die abgelegenen Gebiete am Lake Kariba sind die War Veterans schon vorgedrungen, haben Behörden unter Druck gesetzt und Organisationen, die unter Oppositionsverdacht stehen, lahmgelegt.

Sigi Finkel in Zimbabwe

Das offizielle Österreich reagiert auf die Vorgänge EU-konform abwartend. So werden laufende Projekte der Entwicklungszusammenarbeit weitergeführt, die in Verruf geratene Regierung wird umgangen, Projekte werden direkt mit den Betrieben und Genossenschaften abgewickelt. Die Devise lautet: Die Menschen in einer schwierigen Situation nicht im Stich lassen. Mittel für neue Projekte gab es keine.

Die gegenwärtig laufende Zimbabwe-Tournee der österreichischen Band "Sigi Finkel and African Heart" hat in diesem Zusammenhang einen hohen symbolischen Stellenwert. Drei Westafrikaner und drei Europäer spielen in dieser Gruppe zusammen und formulieren schon dadurch ein antirassistisches Statement, das sich sowohl an die Menschen in Österreich wie auch in Zimbabwe wendet.